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Die kleine graue Maus
S01E02 - unter Geschwistern
Erst wenn Feliditas und ihre anderen Geschwister den gesamten Vorrat gefressen hatten, den ihre Mutter gesammelt hatte, ihre Bäuche fast platzen, dann erst ließen sie die kleine graue Maus passieren mit den Worten „Nimm dir nur den Rest, kleine graue Maus. Schlag zu!“ Und dann kicherte Feliditas, die älteste und vollgefressenste, vergnügt. Während ihre Geschwister sich zusammenkullerte und selig anfing zu schnarchen, um von noch volleren Bäuchen zu träumen, trippelte die kleine graue Maus erschöpft zu ihrer Mama und suchte die letzten Krümel zusammen. Die kleine graue Maus konnte weder um eine Haselnuss kämpfen, noch konnte sie ein paar Beeren verteidigen, die ihr durch Zufall zufielen. In ihrem Magen landete nur etwas trockene Baumrinde oder madige Beeren, wenn die Mägen ihrer Geschwister bereits für die nächsten drei Tage gefüllt waren. Die kleine graue Maus wurde noch schwächer, weil sie kein Futter bekam und weil sie kein Futter bekam wurde sie noch schwächer. Hätte ihre Mutter nicht ab und an Mitleid mit ihr gehabt und der kleinen grauen Maus ein paar Krümel zugeschoben, dann wäre aus der kleinen grauen Maus sicher nicht viel geworden. Des Abends, während die Geschwister mit vollem Bauch schnarchten und die kleine graue Maus mit knurrendem Magen nicht kein Auge zubekam, stupste ihre Mutter sie immer sanft an. Ihr Zeichen für „Bald wird alles besser!“ Die Schnurrharre der kleinen grauen Maus zitterten im kalten Wind, als sie an die Wärme ihrer Mutter dachte.
Es war nichts besser geworden, denn der Herbst im Buchenwald neigte sich dem Ende zu und der Winter kam. Das Futter wurde rar und der Bauch von niemand wurde mehr voll, nicht einmal der von Feliditas. Jetzt könnt ihr euch vorstellen, was für die kleine graue Maus übrig blieb. Feliditas wurde aggressiv, denn sie war es nicht gewohnt hungrig zu sein. Ihr erstes Opfer galt natürlich der kleine graue Maus und bald hatte sie so viele Kratzspuren, dass sie am Tage in die kalte Winterlandschaft floh und erst spät abends, wenn Feliditas und ihre Geschwister in einen unruhigen und hungrigen Schlaf gefallen waren, zu ihrer Mutter zurückkehrte. Die seufzte dann oft tief und fragte sich, was aus ihrer kleinen grauen Maus nur werden sollte.

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